Im Alter von einundzwanzig Jahren – bereits überzeugter Buddhist, aber noch kein Mönch – lebte er auf der Insel Capri, und nahm dort eines Tages aus Neugier an einer spiritistischen Seance teil, wie sie damals in Mode waren. Er berichtet darüber:
Als der schwere Mahagonitisch sich zu bewegen begann, machte einer der Teilnehmer den Vorschlag, Fragen über die vorgeburtlichen Existenzen der Anwesenden zu stellen. (...) Als der Frager sich über mein früheres Leben erkundigte, buchstabierte der Tisch einen Namen, der augenscheinlich lateinisch war und den niemand der Anwesenden je gehört hatte. Auch ich war verwundert, obgleich mir war, als ob ich einen solchen Namen gelegentlich in einer Bibliographie gelesen hätte, und zwar als Pseudonym eines weniger bekannten Autors, dessen Name mir entfallen war. Auf jeden Fall maß ich dieser Antwort keine Bedeutung bei (...)
Einige Zeit danach geschah es, dass ich einem anderen Freund, einem jungen deutschen Archäologen, eine Geschichte vorlas, die ich in meiner Kindheit geschrieben hatte und die den Anfang einer mystischen Novelle darstellte, in der ich meinen religiösen Überzeugungen und inneren Erfahrungen Ausdruck verleihen wollte. Mein Freund war einige Jahre älter als ich; ich hatte große Achtung vor seinem literarischen und kunstgeschichtlichen Wissen und schätzte sein reifes Urteil.
Nachdem ich eine Weile gelesen hatte, unterbrach er mich plötzlich und rief: „Woher hast du dies? Hast du je etwas gelesen von --", und hier erwähnte er denselben Namen, an dem ich und die anderen Teilnehmer an der erwähnten Seance herumgerätselt hatten.
„Das ist wirklich sonderbar.“ sagte ich. „Das ist jetzt das zweite Mal, dass ich diesen Namen höre." Und dann erzählte ich ihm, wie der Name in der Seance aufgetaucht war.
Mein Freund erklärte mir daraufhin, dass dieser Autor eine ähnliche Novelle zu schreiben begonnen hätte, ohne sie je zu beenden, weil er in sehr jungen Jahren gestorben sei, und zwar an derselben Krankheit (Tuberkulose), die mich zum Aufenthalt in einem Sanatorium des Tessins gezwungen hatte, wo mein Freund und ich uns kennen gelernt hatten. Nicht nur der Hintergrund meiner Geschichte und die darin ausgesprochenen Ideen glichen denen jenes Autors, sondern sogar der Stil, die besondere Art der Phantasie, die Symbole und gewisse typische Phrasen.
Ich war aufs höchste überrascht und versicherte meinem Freund, dass ich nie in meinem Leben eine Zeile dieses Autors gelesen hätte. Das war nicht weiter verwunderlich, denn er war vor etwa hundert Jahren gestorben und zu meiner Zeit noch nicht so populär, dass er in das normale Pensum einer höheren Schule aufgenommen worden wäre. Tief beeindruckt von den Worten meines Freundes, beschloss ich, mir sofort die Werke, von denen er gesprochen hatte, zu beschaffen. Bevor ich sie aber bekommen konnte (da sie in italienischen Buchhandlungen nicht zu haben waren), geschahen andere seltsame Dinge.
Ich war eines Tages zu einer Geburtstagsgesellschaft eingeladen, auf der, wie dies in Capri meist der Fall war, die verschiedensten Nationalitäten vertreten waren. Unter den Gästen befand sich auch ein deutscher Gelehrter, der soeben erst auf der Insel zu einem kurzen Aufenthalt eingetroffen war und den ich bisher nicht kennen gelernt hatte. Als ich den Raum betrat, in dem die Gäste versammelt waren, nahm ich den Ausdruck äußerster Überraschung auf dem Gesicht des Neuankömmlings wahr; und selbst nachdem ich ihm vorgestellt worden war, fühlte ich dauernd seinen Blick auf mir ruhen.
Einige Tage später begegnete ich der Gastgeberin jener Geburtstagsgesellschaft wieder und fragte sie: „Wer war der Herr, dem Sie mich neulich vorstellten? Ich wunderte mich, warum er mich die ganze Zeit anstarrte. Ich habe ihn nie zuvor getroffen und kann mich nicht einmal seines Namens erinnern."
„Sie meinen Doktor X.? - Nun, der ist schon wieder abgereist. Aber ich kann Ihnen sagen, was ihn so sehr an Ihnen interessierte. Er schreibt die Biographie eines deutschen Dichters und Mystikers, der vor etwa einem Jahrhundert starb und dessen Schriften er neu herausbringt. Als Sie ins Zimmer traten, konnte er kaum seiner Überraschung Herr werden – wie er mir später sagte – wegen der frappanten Ähnlichkeit zwischen Ihnen und dem einzigen erhaltenen Porträt jenes Dichters aus der Zeit, da er in Ihrem Alter war. Die Ähnlichkeit sei so außergewöhnlich, dass es ihn fast wie einen Schock getroffen hätte."
Eine weitere Überraschung harrte meiner. Als die von mir bestellten Bücher endlich eintrafen, erkannte ich nicht nur wesentliche Teile „meiner" Geschichte wieder, sondern fand, dass gewisse Stellen wörtlich mit denen von mir in meiner Kindheit geschriebenen übereinstimmten! Je weiter ich las, desto klarer wurde es mir, dass ich meine eigenen innersten Gedanken darin wiedergegeben fand, und zwar genau in den Worten und Bildern, die ich selbst zu brauchen pflegte. Es war aber nicht nur meine Vorstellungswelt, die ich in jedem Detail widergespiegelt fand; ich entdeckte dort noch etwas viel Wichtigeres, etwas, das mir als das Hauptwerk meines gegenwärtigen Lebens vorschwebte: die Umrisse einer Morphologie der menschlichen Kultur, die in einer magischen Schau des Universums gipfelte. (...)
Govinda
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